Recruiting ist eine komplexe Kunst, die weit über das bloße Suchen von Bewerbenden für offene Positionen hinausgeht. Recruiting ist mehr. Es ist die Kunst der Kommunikation zwischen Menschen mit digitalen Mitteln. Hoffnungen sind damit genauso verbunden wie Enttäuschungen. Dazwischen liegen digitale Tools, KI-Lösungen und andere diagnostische Methoden, um möglichst objektive Entscheidungen treffen zu können. Am Ende jedoch entscheiden Menschen über Menschen. Menschen machen bewusst oder unbewusst Fehler aus unterschiedlichsten Gründen. In der heutigen Zeit sind drei entscheidende Themen besonders relevant: Die Herausforderung von Bias, die Kunst der Entscheidungsfindung und die stille Antwort nach einer Bewerbung.
Bias im Recruiting: Die unsichtbare Hürde
Bias, oder die Neigung, aufgrund persönlicher Vorurteile ungleiche Entscheidungen zu treffen, ist eine Hürde, die im Recruiting oft unterschätzt wird. Ob bewusst oder unbewusst, Vorlieben für bestimmte Hintergründe, Geschlechter oder Altersgruppen können den Auswahlprozess beeinflussen und zu unfairen Entscheidungen führen.
Um diesem Problem zu begegnen, setzen moderne Recruiting-Praktiken verstärkt auf datengetriebene Ansätze und bewusste Sensibilisierung der Entscheidungsträger. Es ist wichtig zu erkennen, dass der Kampf gegen Bias nicht nur eine ethische Verantwortung ist, sondern auch die Vielfalt und Qualität der Teams verbessert. Digitale Tools können dabei unterstützen, jedoch bleiben die Basics der Kommunikation dabei noch immer bestehen. Daher ist es wichtig, klar zu über Entscheidungen im Recruiting-Prozess zu kommunizieren, Feedback-Möglichkeiten für Bewerbende bereitzustellen und vor allem Führungskräfte hinsichtlich deren persönlichen Vorurteilen aufzuklären.
Eine Wahrheit im Recruiting ist dabei, dass viele Führungskräfte „aus dem Bauch heraus“ entscheiden, oft die schnelle Lösung suchen und oftmals oberflächlich anhand eines Lebenslaufes entscheiden, ohne die eigenen Entscheidungen dabei zu hinterfragen. Solange es Menschen gibt, die glauben, aus einem Lebenslauf wirklich etwas herauslesen zu können, werde ich weiter solche Artikel schreiben.
Entscheidungen im Recruiting: Mehr als nur Qualifikationen
Entscheidungen im Recruiting sind nicht nur von Qualifikationen abhängig. Kulturelle Passung, Soft Skills und das Potenzial zur Weiterentwicklung spielen eine entscheidende Rolle. Traditionelle Herangehensweisen, die sich ausschließlich auf harte Fakten konzentrieren, geraten zunehmend in den Hintergrund. Moderne Unternehmen erkennen an, dass erfolgreiche Teams nicht nur aus Experten und Expertinnen, sondern aus vielfältigen Persönlichkeiten bestehen. Entscheidungen sollten daher auf einer ausgewogenen Kombination von Erfahrung, Kompetenzen und menschlichen Qualitäten basieren.
Eine Wahrheit im Recruiting ist dabei, dass das Stallgeruch, also die Suche nach ähnlichen Lebensläufen, die man selbst hat, sehr groß ist.
Vielfalt und Diversity, die Innovation und Veränderung in Organisationen fördern, werden durch die Suche nach der eierlegenden Wollmilchsau, die noch immer Usus im Recruiting ist, bereits im Keim erstickt.
Die stille Antwort: Kommunikation nach der Bewerbung
Die Stille nach einer Bewerbung kann für Bewerbende sehr frustrierend sein. Eines meiner persönlichen Lieblingsbeispiele einer großen Institution dabei ist folgender Text einer Eingangsmail: „Sollten Sie in den nächsten 14 Tagen keine Verständigung bekommen, hat sich der Dienstgeber für eine/n andere/n Bewerber_in entschieden.“ Das war doch Zufall. Keineswegs. Hier ein anderes Beispiel eines Mittelständischen Unternehmens: „Da wir Ihrer Bewerbung die gebührende Aufmerksamkeit widmen werden, erhalten Sie in spätestens 6 Wochen eine Rückmeldung von uns.“ So geht Recruiting meiner Meinung nach nicht.
Ein Mangel an Rückmeldungen kann nicht nur das Ansehen des Unternehmens beeinträchtigen, sondern auch talentierte Kandidaten und Kandidatinnen verlieren (den Autor miteingeschlossen). Eine transparente und respektvolle Kommunikation während des gesamten Auswahlprozesses ist entscheidend. Selbst wenn die Antwort negativ ist, schafft eine klare Rückmeldung eine positive Kandidaten-Erfahrung. Unternehmen sollten sich somit bewusst sein, dass die Art, wie Bewerbende behandelt werden, langfristige Auswirkungen auf das Employer Branding hat.
Eine Wahrheit im Recruiting ist dabei, dass Menschen trotz der Digitalisierung wochenlang warten, ehe sie überhaupt eine Antwort erhalten. Dabei muss es doch möglich sein, innerhalb einer Woche zumindest zu- oder abzusagen. Immerhin geht es um mögliche neue Mitarbeitende. Wer will schon gerne warten?
Ist Recruiting noch zeitgemäß?
Die Frage nach der Zeitgemäßheit des Recruitings ist komplex und provokant. Ist der Lebenslauf noch zeitgemäß? Ist ein klassisches Bewerbungsgespräch ala „Erzählen Sie was über sich“? Betreutes Vorlesen von Bulletpoints? Ist es zeitgemäß, im Recruiting nur für die eine Position zu entscheiden oder wäre es effizienter, zu hinterfragen, ob der Mensch nicht noch andere Vorteile für das eigene Unternehmen mitbringt, die vielleicht aktuell nicht gesucht werden?
In einer Ära von KI-gestützten Einstellungsprozessen und digitalen Plattformen stellt sich die Frage, ob traditionelle Methoden Schritt halten können und ob der Mensch mit seinen Gefühlen, Hoffnungen und Erwartungen dabei noch wirklich wirklich im Mittelpunkt steht?
Die Antwort liegt in der Notwendigkeit der Anpassung. Während automatisierte Tools effizient sein können, dürfen sie nicht die Menschlichkeit im Auswahlprozess ersetzen. Zeitgemäßes Recruiting bedeutet, Technologie als Unterstützung zu nutzen, aber gleichzeitig die zwischenmenschlichen Aspekte zu bewahren, die eine erfolgreiche Zusammenarbeit ermöglichen.
Insgesamt zeigen diese drei Themen, dass Recruiting mehr ist als das Durchsuchen von Lebensläufen. Es erfordert eine bewusste Anstrengung, Bias zu überwinden, fundierte Entscheidungen zu treffen und klare Kommunikation zu gewährleisten. In einer sich ständig verändernden Arbeitswelt ist es entscheidend, dass Recruiting-Praktiken mit den neuen Realitäten Schritt halten und sich weiterentwickeln, um talentierte Individuen erfolgreich zu identifizieren und zu integrieren. Hinzukommt, dass wir nach Kompetenzen und weniger nach „konsistenten“ Lebensläufen und subjektiven Meinungen Entscheidungen treffen sollten.